“Gegen Euroskeptizismus, eine mehr verantwortliche EU” – Interview mit MEP Hermann Winkler

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Nach einer langjährigen politischen Karriere in Deutschland, wurde Hermann Winkler Abgeordneter des Europäischen Parlaments für die EVP in 2009. Seitdem ist er aktives Mitglied des Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie und der Delegation für den Parlamentarischen Stabilitäts- und Assoziationsausschuss EU-Montenegro.

UNITEE hatte die Chance, ihn zu Themen wie Europaskepsis und Migrationspolitik zu interviewen.

Herr Winkler, wieso haben Sie sich entschieden, in die Politik zu gehen? Und warum zog es Sie später in die Europapolitik?

Zur Politik kam ich durch den historischen Glücksfall der Friedlichen Revolution 1989 in der DDR, die auch für das Zusammenwachsen Europas letztlich ein wichtiger Meilenstein war. Im Zuge der gesellschaftlichen und politischen Umwälzungen wollte ich meine Heimat selbst mitgestalten und ergriff daher die Gelegenheit, mich in der Kommunalpolitik zu engagieren. Kurz darauf wurde ich auch in den Sächsischen Landtag gewählt, dem ich 19 Jahre angehörte. In dieser Zeit wurde ich immer wieder mit Entscheidungen und Regeln der Europäischen Union konfrontiert und erkannte die wachsende Bedeutung dieser politischen Ebene. Daher erschien es mir nur folgerichtig, mich für ein Mandat im Europäischen Parlament zu bewerben, wo ich mich vor allem als Vertreter des Freistaats Sachsen und seiner vorwiegend kleinen und mittelständischen Unternehmen betrachte.

Sie sind stellvertretendes Mitglied der DCAS. Welche Investitions/Handelsmöglichkeiten für europäische Unternehmen bieten Kasachstan, Kirgisistan, Usbekistan, Tadschikistan, Turkmenistan und die Mongolei?  

Die Staaten Zentralasiens gehören derzeit zweifellos zu den ökonomisch spannendsten auf der Welt. Dabei gilt aber zu berücksichtigen, dass die Region alles andere als homogen ist. In politischer, gesellschaftlicher und auch wirtschaftlicher Hinsicht weisen die Staaten teils erhebliche Unterschiede auf. Was sie alle gemein haben ist ein Reichtum an Bodenschätzen und eine darauf ausgerichtete Exportwirtschaft bei gleichzeitigen Defiziten im produzierenden Gewerbe sowie im Dienstleistungssektor. Aus diesem Grund erscheint der Bereich wirtschaftlicher Modernisierungsprojekte in dieser Region besonders interessant. Ausländische Investitionen und vor allem Knowhow sind unerlässlich, um die zentralasiatischen Volkswirtschaften wettbewerbsfähiger zu machen.

Was denken Sie ist der richtige Weg für die EU, mehr oder weniger Europa, und warum? Wie soll mit Euroskeptizismus umgegangen werden?

Meines Erachtens ist die Frage keine nach mehr oder weniger Europa, sondern nach sinnvollen und weniger sinnvollen Bereichen europäischer Vereinheitlichung. Das beste Mittel gegen Euroskeptizismus, der in Teilen einer faktischen Grundlage ja nicht entbehrt, ist eine bessere EU mit wenigen, klar abgegrenzten Zuständigkeiten. In den großen, grenzübergreifenden Fragen wie Asyl- und Zuwanderung, Wirtschafts- und Währungspolitik, Außen- und Sicherheitspolitik sowie der Vollendung des Binnenmarkts brauchen wir natürlich ein starkes Europa. Daneben gibt es aber auch viele Herausforderungen, die auf nationaler, regionaler oder kommunaler Ebene deutlich besser aufgehoben sind und mit Blick auf die Gegebenheiten vor Ort bewältigt werden müssen.

Als Mitglied des Ausschusses für Industrie, Forschung und Energie, welche konkreten Maßnahmen würden Sie vorschlagen, um die Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Mittelstands in einer globalisierten Welt zu garantieren?  

Bezahlbare Energiepreise werden mittel- und langfristig die wichtigste Herausforderung bei der Erhaltung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit Europas bleiben. Um diese zu gewährleisten, bedarf es zunächst eines europäischen Energiebinnenmarktes mit einheitlichen Regeln. Statt eines nationalen Förderdschungels muss sich beispielsweise die Unterstützung erneuerbarer Energieträger nach den jeweiligen Potentialen in Europa richten. Wenn Solarenergie im Süden, Wasserkraft in den Gebirgen und Windkraft an den Küsten erzeugt und diese über funktionierende transeuropäische Netze zu den Verbrauchern gebracht werden, sind wir einer Lösung des Problems bereits deutlich näher. Darüber hinaus dürfen wir uns nicht weiter in eine dogmatische Sichtweise auf Energieeffizienz und Emissionsreduktion verrennen. Immer neue und schärfere Auflagen kosten die öffentliche Hand viel Geld, behindern die Wirtschaft und werden dennoch nie ausreichen, um die globale Entwicklung aufzuhalten. Während sich Europa selbst kasteit wird andernorts die Raumtemperatur nach wie vor mittels des Fensters reguliert und neugebaute Kraftwerke auf dem technologischen Stand von gestern werden in Betrieb genommen. Wir brauchen keine unrealistischen Vorgaben für Energieverbrauch und Kohlendioxidausstoß, sondern müssen die Entwicklung modernster Technologien vorantreiben und damit Fortschritte erzielen. Denn, und das ist mein dritter Punkt, die maßgebliche Ressource für die ökonomische Zukunft Europas sind kluge Wissenschaftler, findige Ingenieure und kompetente Fachkräfte.

In den letzten Monaten hat PEGIDA, gerade im Ostdeutschland, sehr viel Zulauf bekommen. Über die Extreme hinaus scheint sich auch die Mitte der Gesellschaft von einer „Islamisierung des Abendlandes“ bedroht zu fühlen. Wie kann man ihrer Meinung nach auf diese Bewegung reagieren und der Bevölkerung diese Ängste nehmen?  

Jenseits des Namens bin ich mir nicht sicher, ob es bei PEGIDA nur und in erster Linie um die Angst vor Islamisierung geht. Vielmehr scheinen die Ursachen für den Zulauf der Demonstrationen in einer wachsenden Diskrepanz zwischen veröffentlichter Meinung und der Sichtweise eines nicht unerheblichen Anteils der Bevölkerung zu liegen. Offenkundig gibt es Menschen, die ihre Positionen in den Medien und dem politischen Diskurs nicht mehr wiederfinden und sogar das Gefühl haben, ihre Meinung würde tabuisiert und als illegitim erachtet. Dem kann aus meiner Sicht nur begegnet werden, wenn wir wieder zu einer Diskussionskultur finden, die Meinungen zunächst zulässt anstatt sie zu bewerten. Meinungsfreiheit ist ein hohes Gut und setzt voraus, die Äußerung selbst abwegiger und wenig reflektierter Positionen zumindest zu ermöglichen. Irrationalen Ängsten muss dann in einem zweiten Schritt mit Offenheit und Information begegnet werden. Oftmals reicht ein Verweis auf Fakten, um Befürchtungen zu dämpfen oder Forderungen wurden längst in geltendes Recht umgesetzt. Bei alldem müssen evidente Probleme auch offen benannt werden und dürfen nicht relativiert oder in Phrasen verpackt werden. Der Schutz von Flüchtlingen vor Verfolgung genießt in Deutschland unverbrüchlichen Verfassungsrang und ist Teil der Verantwortung, die aus unserer Geschichte resultiert. Dennoch müssen wir offen darüber diskutieren, welche anderen Gründe einen Aufenthaltstitel in unserem Land rechtfertigen oder eben auch nicht. Deutschland braucht Zuwanderung und ist offen für alle Menschen, die unsere Werte teilen, unser Recht achten und einen wertvollen Beitrag zur Gestaltung unserer Gesellschaft leisten wollen. Dennoch ist es legitim, dass wir so wie alle anderen Einwanderungsländer selbst entscheiden, welchen Beitrag wir als wertvoll erachten und wen wir willkommen heißen.

Sind Sie der Meinung, dass zivilgesellschaftliche Organisationen wie UNITEE wichtig sind, um noch vorhandene Vorurteile und Vorbehalte gegenüber Mitbürgern mit Migrationshintergrund zu ändern?

Vereinigungen wie UNITEE sind gelebter Ausdruck des europäischen Gedankens, dass Mobilität und interkultureller Austausch eine Bereicherung sind und viele Errungenschaften innerhalb der EU überhaupt erst ermöglichen. Als Zusammenschluss von Unternehmern mit Migrationshintergrund wirkt die Arbeit von UNITEE auch nach wie vor leider verbreiteten Vorurteilen entgegen und belegt den Gewinn, den gelingende Zuwanderung für Gesellschaften bringt.

Als stellvertretendes Mitglied des Ausschusses für Kultur und Bildung, welche Maßnahmen schätzen Sie als notwendig ein, um Bildung und Forschung zu fördern und zu unterstützen?

Mit Blick auf die Bildung benötigen wir ein System, das den Fähigkeiten des Einzelnen gerecht wird und jeden entsprechend seiner Stärken bei der Entfaltung seiner Potentiale unterstützt. Zweifellos ist die Förderung höherer Bildung wichtig, sie darf aber nicht zu einer Vernachlässigung der beruflichen Bildung führen. Europa braucht fähige Köpfe und Hände auf allen Ebenen und an allen Stellen, Handwerker und Facharbeiter ebenso wie Ingenieure und Wissenschaftler. Daher werbe ich für das deutsche Modell einer dualen Berufsausbildung, die Theorie und Praxis klug verknüpft und wertvolle Fachkräfte hervorbringt. Akademisierung von Berufsbildern um jeden Preis und wider jede Vernunft lehne ich ab. Dort wo akademische Bildung dringend gebraucht wird, beispielsweise in Forschung und Entwicklung, müssen wir die Besten fördern und ihnen Möglichkeiten eröffnen. Europa ist ein Raum der Mobilität, den vor allem die Experten von morgen als Chance für den Austausch von Ideen und den Erwerb von Erfahrung zu schätzen wissen. Die Maßnahmen und Projekte, welche die EU in diesem Bereich unterhält, gilt es also auszubauen. Zudem müssen wir die Verbindung von Forschung und Anwendung weiter verbessern, um Exzellenz in der Wissenschaft auch in wettbewerbsfähige Produkte und Dienstleistungen münden zu lassen. Gerade in kleinen und mittelständischen Unternehmen ruhen noch große Potentiale, die wir unbedingt erschließen müssen.


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